Demokratie muss
gelernt werden

„Wir müssen jungen Menschen zeigen, dass ihre Stimme zählt.“
Demokratie beginnt mit Bildung – genau hier setzt das Programm Lions-Quest an. Als eines der führenden Lebenskompetenzprogramme in Deutschland unterstützt es junge Menschen zwischen 10 und 21 Jahren dabei, soziale und persönliche Kompetenzen zu entwickeln. Ein besonderer Fokus liegt auf der Demokratieförderung: Lions-Quest stärkt kritisches Denken, vermittelt interkulturelle Kompetenzen und zeigt, wie Mitbestimmung und gesellschaftliches Engagement gelingen können.
Um das Programm zukunftsfähig zu machen, wird es mit Unterstützung der imc digitalisiert. Die neue Online-Plattform bietet flexiblere Lernformate, interaktive Methoden wie Videos und Serious Games sowie zusätzliche Angebote für Lehrkräfte, Schulsozialarbeiter*innen und Eltern.
„Die Digitalisierung von Lions-Quest mit der imc Learning Suite bringt zahlreiche Vorteile: Inhalte können schneller aktualisiert werden, sodass das Programm flexibler auf neue Herausforderungen reagiert. Auch die Qualitätssicherung profitiert durch eine bessere statistische Erfassung der Fortbildungen. Wir freuen uns sehr, ein so wichtiges Demokratie-Bildungs-Projekt zu unterstützen“, erläutert Dr. Sabine Zander, Director Innovation Lab bei imc.
Wie Lions-Quest demokratische Kompetenzen vermittelt, warum Bildung in Zeiten von Fake News und Polarisierung so entscheidend ist und welche Rolle Unternehmen bei der Demokratieförderung spielen, darüber sprechen wir mit Dr. Peter Sicking, Bereichs- und Programmleiter von Lions-Quest.

Herr Dr. Sicking, können Sie uns zunächst einen Überblick über das Programm Lions-Quest geben? Welche Ziele verfolgt es und welche Zielgruppen profitieren davon?
Lions-Quest hilft jungen Menschen, wichtige Lebenskompetenzen zu entwickeln, so dass sie aktuelle Herausforderungen, Krisen und Konflikte besser bewältigen, ihre Potenziale besser entfalten und ein selbstbestimmtes, verantwortungsbewusstes Leben führen können. Gleichzeitig wirkt das Programm präventiv gegen selbst- und fremdschädigendes Verhalten und trägt zu einem besseren Klassenklima sowie zum Lernerfolg bei.
Lions-Quest umfasst drei Programmformate: „Erwachsen werden“, „Erwachsen handeln“ und „Zukunft in Vielfalt“.
„Erwachsen werden“ hat Kinder zwischen 10 und 14 Jahren im Blick und fördert persönliche und soziale Kompetenzen, während „Erwachsen handeln“ junge Menschen zwischen 15 und etwa 21 Jahren adressiert und den Fokus auf Demokratiebildung legt. Beide Programme werden in erster Linie als Fortbildungen für Lehrkräfte in Schulen angeboten.
„Zukunft in Vielfalt“ unterstützt Diversität und Integration. Diese Programmsäule wird nicht nur in Schulen, sondern auch in anderen Bereichen eingesetzt – etwa bei der Polizei oder in Einrichtungen für geflüchtete Menschen.
Ein zentraler Baustein von Lions-Quest ist die Förderung demokratischer Kompetenzen. Warum ist es gerade in der heutigen Zeit so wichtig, junge Menschen frühzeitig für Demokratie zu sensibilisieren?
Gerade in unsicheren Zeiten bildet die Schule das Fundament für eine stabile und gesunde Zukunft unserer Demokratie. Wir möchten junge Menschen dabei unterstützen, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass sie ihr eigenes Leben aktiv gestalten können. So können sie zu mündigen Bürgern heranwachsen, die bereit sind, sich für die Gesellschaft einzusetzen. Zudem fördern wir kritisches Denken, eine lösungsorientierte Haltung und soziale Verantwortung. Diese Werte sollen so fest verankert werden, dass junge Menschen selbst in Zeiten, in denen die Demokratie unter Druck gerät, an ihnen festhalten.
Wie genau vermittelt das Programm demokratische Kompetenzen? Welche Methoden und Ansätze kommen zum Einsatz, und gibt es konkrete Praxisbeispiele?
Lions-Quest vermittelt Demokratie nicht nur theoretisch, sondern macht sie erlebbar: Kinder und Jugendliche nehmen an partizipativen Projekten teil, treffen Entscheidungen und erleben Selbstwirksamkeit. Ein Beispiel ist der „Klassenrat“, bei dem Schülerinnen und Schüler lernen, sich aktiv zu beteiligen und Entscheidungen demokratisch zu treffen. Beim „Service Learning“ entwickeln sie soziale Projekte und engagieren sich für die Gesellschaft. Auch die „Dilemma-Methode“ ist ein bewährtes Instrument zur Förderung demokratischer Kompetenzen, indem sie hilft, verschiedene Perspektiven abzuwägen und bewusste Entscheidungen zu treffen.
Unsere Gesellschaft steht vor Herausforderungen wie Desinformation, Polarisierung und einer sinkenden Wahlbeteiligung. Besonders in sozialen Medien verstärken Algorithmen sogenannte „Bubbles“, in denen Nutzer*innen oft nur Informationen sehen, die ihre bestehenden Überzeugungen bestätigen. Wie können wir diesem Trend entgegenwirken? Und welche Rolle spielt Bildung dabei, um junge Menschen für einen kritischen, reflektierten Umgang mit Informationen zu sensibilisieren?
Laut den großen Jugendstudien wie der Sinus-Studie oder auch der Shell-Jugendstudie beziehen junge Menschen ihre Informationen überwiegend aus den sozialen Netzwerken – doch dort sind Fake News, Filterblasen und gesellschaftliche Spaltung große Herausforderungen. Bildung spielt eine zentrale Rolle, um für die Gefahren manipulativer Informationstechnologien zu sensibilisieren. Schulen gehören zu den wenigen Orten, an denen junge Menschen lernen können, Informationen kritisch zu hinterfragen. Alle Lions-Quest-Programme stärken deshalb kritisches Denken und Kommunikationskompetenz als grundlegende Lebenskompetenzen. Die Vermittlung einer kritischen Medienkompetenz spielt zudem eine zentrale Rolle bei der aktuellen Überarbeitung von Lions-Quest „Erwachsen handeln“.
Wir haben nun über die Risiken gesprochen – insbesondere über die Gefahr, dass digitale Plattformen zur Meinungsverfestigung beitragen. Doch die Digitalisierung bietet auch Chancen. Welche Möglichkeiten sehen Sie, digitale Bildung gezielt einzusetzen, um demokratische Kompetenzen nachhaltig zu fördern?
Der Einsatz digitaler Technologien zur Förderung demokratischer Kompetenzen wächst stetig. In Deutschland gibt es bereits viele Initiativen, die Demokratiebildung digital unterstützen – teils schon im frühen Kindesalter, wie fruehe-demokratiebildung.de. Für ältere Kinder und Jugendliche bietet die Initiative aula von Marina Weisband ein innovatives Mitbestimmungskonzept im Alltag.
Besonders wirksam sind spielerische Ansätze wie Gamification und Serious Games. Sie vermitteln Wissen interaktiv und motivieren junge Menschen, sich aktiv mit Demokratie auseinanderzusetzen.
Auch mit dem neuen Lions-Quest werden wir diese Potenziale gezielt nutzen: Durch innovative Methoden wie Gamification fördern wir nicht nur Wissen, sondern auch den Austausch und die soziale Integration.
Nicht nur Schulen, auch Unternehmen können einen Beitrag zur Demokratieförderung leisten. Welche Verantwortung sehen Sie hier, und wie könnten Unternehmen sich stärker engagieren?
Aus meiner Sicht tragen Unternehmen eine enorme Verantwortung, wenn es um das Thema Demokratieförderung bei jungen Menschen geht. Sie profitieren von gut ausgebildeten Nachwuchskräften und sollten daher in das Bildungssystem investieren.
Um jedoch bei der Demokratieförderung zu bleiben – diesbezüglich kann die unternehmerische Verantwortung auf verschiedensten Ebenen wahrgenommen werden. Mir fallen zum Beispiel regelmäßige Workshops und Fortbildungen ein oder die Implementierung innovativer Mitbestimmungsstrukturen speziell für die Auszubildenden. Auch Lions-Quest kann durchaus auch in Unternehmenskontexten zur Anwendung kommen.
Demokratieförderung muss auch nicht nur im eigenen Unternehmen stattfinden. Die Unterstützung der Stiftung der Deutschen Lions beim Aufbau einer digitalen Lions-Quest-Plattform durch die imc ist dafür das beste Beispiel.
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen für die Demokratiebildung in Deutschland? Welche Themen oder Zielgruppen werden vielleicht noch nicht ausreichend adressiert?
Das politische Interesse und Engagement junger Menschen steigt seit Jahren zwar moderat an, das zeigen die erwähnten Studien. Bildungsferne und sozial schwächere Gruppen bleiben jedoch oft außen vor. Wir haben es hier mit einer sich öffnenden Schere zu tun. Diese wachsende Kluft könnte die gesellschaftliche Spaltung weiter verstärken.
Daher versuchen wir, insbesondere mit dem Programmformat „Erwachsen handeln“ genau diese Zielgruppe stärker anzusprechen und vermehrt einzubeziehen.
Zum Abschluss: Wenn Sie sich eine Sache wünschen könnten, die Politik, Bildungseinrichtungen oder Unternehmen sofort umsetzen sollten, um demokratische Bildung in Deutschland zu stärken – was wäre das?
Schulen sollten den vorhandenen Raum nutzen, um Partizipation und Mitbestimmung erlebbar zu machen. Wenn Schüler aktiv an Entscheidungsprozessen teilnehmen, stärkt das ihre Selbstwirksamkeit und legt den Grundstein für eine lebendige Demokratie. Dafür müssen Schulen die Möglichkeiten der Schulverfassung konsequent umsetzen: Schülervertretungen stärken und echte Mitgestaltung ermöglichen. Das kostet nichts, wird aber noch zu selten realisiert.
Zudem braucht es mehr Kooperationen mit externen Partnern wie Vereinen, Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen. So können junge Menschen demokratische Prozesse nicht nur im Klassenzimmer, sondern in der realen Welt erleben. Mit unseren Lions-Quest-Leuchtturmschulen sind wir diesen Weg bereits gegangen – und es wäre wünschenswert, wenn noch mehr Initiativen folgen würden.

Über den Interviewpartner: Dr. Peter Sicking

Dr. Peter Sicking ist Bereichs- und Programmleiter für Lions-Quest bei der Stiftung der Deutschen Lions in Wiesbaden. Nach akademischen Stationen als Lehrbeauftragter an der Universität Münster und leitenden Positionen in der Unternehmenskommunikation wechselte er in den Non-Profit-Sektor. Dort koordinierte er unter anderem ein mehrjähriges EU-Projekt im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative EQUAL und war als Vorstand der Peter Ustinov Stiftung tätig. Er wirkt in zahlreichen Gremien und Arbeitskreisen mit.
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